19.04.2011

Noe 20 - Erwarten, Wollen, Lassen

Der junge David und Noe sprachen über Staatskunst, Frauen, Männer, Liebesfragen, Philosophie, Wissenschaft, Religion, anderes mehr und über den Glauben. Dabei dachte Noe an seine Begegnungen mit jenen bescheidenen Mönchen und Nonnen, die ihren Glauben völlig ungezwungen und natürlich zu leben wussten. Für sie waren die Wellen des Lebens der Ausdruck göttlichen Wirkens, sich diesem auszuliefern, hatten sie in jungen Jahren beschworen. Dabei legten sie ihr Hände keineswegs in den Schoss und fanden sich überall zurecht. Sie lernten Umstände und Zeichen zu lesen, um dann ohne Aufregung das zu tun, was der Lebensfluss erforderte. Nicht mehr und nicht weniger. Diese Menschen wiesen die Wirren des Alltags in die Schranken, indem sie ihren Lebensgrund jenseits der Erkenntnis wussten und ausserhalb der menschlichen Geschäftigkeit. Sie verfügten über eine entwaffnende Art, sich der inneren und äusseren Wirklichkeit zu ergeben, ohne sich von ihr beirren zu lassen. Aus ihren Erfahrungen vermochten sie tiefe, einfache Schlüsse zu ziehen und diese unverfälscht anderen weiter zu schenken. So unscheinbar wie ihr Leben und ihr Erlöschen, war auch die Lücke, die sie im lauten Treiben hinterliessen. Dennoch hatten sie unauslöschliche Zeichen in jene Herzen gebrannt, deren Puls so leise und doch kraftvoll wie der ihre war.

07.04.2011

Aufbegehren!

Es gilt als Zeichen der Tugend, wenn ein Mensch persönlich erfahrenes Unrecht einstecken kann.Ich halte dagegen, dass diese Auffassung das Unrecht wachsen lässt und zu gebrochenen Untertanen führt. Sich gegen Ungerechtigkeit aufzulehnen, gehört zum Fundament der menschlichen Würde. Zwar ist hehres Heldentum oft nicht der beste Weg, aber noch weniger ist es die verbreitete Waschlappigkeit mit ihrem Rückzug auf die kleine, eigene Welt. Das Thema ist alt, wie der kleine Text des deutschen Theologen Emil Niemöller zeigt:
„Als die Nazis die Kommunisten holten, habe ich geschwiegen; ich war ja kein Kommunist. Als sie die Sozialdemokraten einsperrten, habe ich geschwiegen; ich war ja kein Sozialdemokrat. Als sie die Gewerkschafter holten, habe ich nicht protestiert; ich war ja kein Gewerkschafter. Als sie mich holten, gab es keinen mehr, der protestieren konnte.“

05.04.2011

Tonbildschau(er)

Alle paar Jahre wieder diese stürmische Musik voller Melancholie, klagend und tröstend erzählender Violinen, von rasend schnellen Pianoläufen umspült. Gefühle eines Lebens verdichtet auf Minuten und befreit.
Nun taucht es auf, das Bild des Knaben vor vielen Jahren, der sich bäuchlings auf seine Liege schmiss, das Gesicht vergrub in seinen Händen, sich hörend aufzulösen schien, aus sich selber trat, um von aussen zu betrachten, wie grenzenlos sich seine Seele in den Klängen verlief.

Leise betritt der jüngere Freund den grossen Raum, versteht den Augenblick verträumter Geistesreise, vernimmt die Melodien, hört den aufgewühlten Alten sagen, dass dies die Musik seiner Kindheit sei - und erwidert: „Es ist eine unermessliches Geschenk, wenn solche Klänge in den Bildern einer Jugend wohnen.“
Franz Liszt, Konzert für Klavier & Orchester Nr. 2 – Allegro moderato

03.04.2011

Noe 19 - Christ und keines von beiden

Nicht der Glaube führte Noe in das christliche Mönchtum, aber seine jugendliche Prägung und die kulturellen Grundlagen. Obwohl herangewachsen in der Welt des eigenständigen Denkens, wo das Christentum nur Vergleichsgrösse war, niemals eine Vorgabe, entzündete sich im kleinen Noe die Liebe zu den Ritualen, Symbolen, dem Weihrauch, der Musik, kurz, zur Sinnlichkeit der Gottesdienste. Die religiösen Inhalte lehnte er fast alle ab. Dieser Gegensatz wurde Noe zum Schlachtfeld und die Kirche, durch seine leidenschaftliche Auseinandersetzung mit ihr, zur Heimat. Für Noe war „Heimat“ eine innere Welt, kein Lebensort. Der hörigen Herde mit ihren Hirten ging er aus dem Wege, ihrem Geplapper entzog er sich. Gottes Unfassbarkeit in Bilder und Ordnungen zu zwängen, lehnte er ab. Die Verkündigung der „Wahrheit“ empfand er als Anmassung der Religiösen, denn diese kannten sie so wenig wie er. Noe verwarf alle Heilsversprechen, nutzte aber die alten Symbole für seine Seelenkultur, machte sie zum fassbaren Werkzeug, mit dem er sich dem unfassbaren Ziel seines fragenden Lebens nähern konnte. Die Theologie verblasste zugunsten der Philosophie und die Quantenphysik schuf sich Raum in seinem Denken. Deren Fragen nach Ursache und Bewegung standen ihm näher als jene nach einem mächtigen, liebenden, strafenden Gott mit seinen allzumenschlichen Zügen. Kein „Amen“ aus Noes Mund: Er wusste NICHTS, blieb in seiner ewigen Schleife, in der Gott keine Antwort war und eine Frage blieb, auch dann, wenn Noe gelegentlich in alter Manier den dreieinigen Gott mit allen seinen Heiligen zu Hilfe rief …


02.04.2011

Wennundaberleier

WENN ich dies und das schon hätte oder wäre, zudem wüsste, was ich meistern würde, andere mich dabei unterstützten und ich ein klares Bild der Zukunft sähe, mehr Möglichkeiten zur Verfügung stünden, ich zuverlässig nichts verlieren und verpassen könnte, wenn mir der Beifall der Umgebung sicher bliebe und alle Aussichten zu meinen Gunsten stünden ... ja dann, dann würde ich …
ABER nun alles ändern kann ich nicht, will jetzt Aufgeschobenes erledigen, meine Schritte langsam planen, mich von den Dingen sachte lösen, Freiheit, Geld und Sicherheit bewahren, möchte Haus und Arbeit nicht verlieren, vorerst mir selbst vertrauen, statt dem Leben, meine Jugend voll geniessen und mich selber finden ... danach, ja, danach lass' ich
mich ein.

Manche leiern lebenslänglich dieses Lied und stecken in Entwürfen fest. Erfahrung holst du nur mit Aufbruch und Verzicht. Wäge ab soviel du willst, hundertfach und mehr, die Zunge an der Waage bist du selbst, mit deinem „Ja“ und „Nein“ zum nächsten Schritt.