Wenn
die Abende dunkler wurden und sternenklar, verlegte Noe zuweilen seine letzte
Gebetszeit hinaus auf die Strasse. Leise murmelnd ging er im Schein der
Leuchten den Weg hinauf zur Kirche, hinterher im Dunkeln weiter zum grossen
Wegkreuz, an dem ein silberner Jesus im kalten Mondlicht schimmerte. Hier
verweilte er für kurze Zeit. Dann führte er seine Schritte hinunter zur
Hauptstrasse, wo er schliesslich begann, kreuz und quer zwischen den Häusern
herumzuziehen, gerade so wie ihm zumute war. In so manchem kannte er Menschen,
einige nur flüchtig, andere besser, und sie schienen in ihm auf, als er nun vor
ihren Fenstern stand. Bilder glitten durch seine Gedanken, er fühlte
Stimmungen, roch die Räume, gelebte Augenblicke kehrten zurück. Mochte aus einem
Haus das bleiche Flackern eines Bildschirm‘s dringen, so fand sich andernorts
am Küchentisch eine vertraute Runde, von der er nur Köpfe oder Schatten sah.
Wieder andere waren in ihren Zimmern, im Schein der kleinen Lampen, für sich
allein beschäftigt, geschützt von grossen Dächern und warmen Öfen. Dieses
Wandern der Gedanken von Ort zu Ort, von Mensch zu Mensch, war Noe eigen seit
er denken konnte. Besonders liebte er seine betenden Gänge der Verbundenheit
durch das stille, warm eingewickelte Abendleben seines Dorfes. Auch wenn er
sich tagsüber von einigen dieser Menschen belästigt fühlte, an einem solchen
Abend mochte er sie alle und in vielfältiger Weise. Jetzt konnte er sie
ausserhalb der Rollen sehen, wie Künstler nach dem Auftritt, die abgespannt und
erleichtert waren, die tägliche Darbietung nun hinter sich zu haben. Noe
schritt jeweils verschämt voran, denn er wollte sie und sich nicht stören.
( πάντα ῥεῖ : panta rhei - Heraklit = "alles fliesst")
( πάντα ῥεῖ : panta rhei - Heraklit = "alles fliesst")