23.09.2017

Claude + 21.3.17
Manchmal gleicht das Leben einem Streifzug durch den Wald. Freunde aller Lebenszeiten stehen da als Bäume, jeder für sich allein und dennoch mit im Ganzen. Weit oben berühren sich die Kronen, in der Tiefe sind die Wurzeln dicht verwoben. Jeder stützt den andern. Nun, in alten Tagen, welken sie und fallen, immer enger wird der Takt. Sie entgleiten der Umarmung, die über Jahrzehnte so natürlich war, dass man sie im Alltag aus dem Blick verlor. In Stille lichtet sich das Wurzelwerk und mit jedem dieser Bäume – stirbt ein Teil von dir. 
22.03.17
"Weniger isch meh"
Es gab Zeiten, in denen mir das Selbstbewusstsein fehlte, besser oder schlechter überspielt. Allmählich kehrte der Blick nach aussen. Ich wurde zum feurigen Krieger und Rivalen, wollte andere belehren. Fantasien der Macht. Diesen folgte der Sturz in Zweifel und Grenzen. Bezugslos wirbelten Sinn und Zweck durch die Gedanken. Kämpfe für nichts, Hirngespinste, Selbstversklavung und am Ende die Erkenntnis, wie wenig ich bewegte, wie klein ich war. Ich lernte, mir trotz Zweifeln treu zu bleiben. So wurde die lähmende Angst zur beflügelten Wissbegier. Ideologien zerfielen, Kategorien verblassten, Absolutes verlor den Reiz, was Raum für Bewegung schuf, in der das Denken sich entfesseln liess. Neue Sichtweisen machten den Lehrer zum Begleiter und eine unbekannte Langsamkeit verschlang die Zeit. Einfache Taten lösten Drang und Wollen ab, wiesen den Weg in den Garten des Lebens. Wieder lernte ich zu schauen, diesmal dem Geschehen seinen Platz zu lassen, allem Wachsenden seine Zeit und mir selbst die Leere, die es brauchte, um diese Fülle aufzunehmen.
01.11.16
Missionare
Je lauter einer seinen Glauben verkündet, andere zu überzeugen sucht, desto mehr zeigt sich, wie wankend er nach Anerkennung giert und Sicherheit. Glaubensfragen gehören zur tiefsten Innerlichkeit eines Menschen. Darüber spricht keiner so leicht, es sei denn, er habe sich selber zugrunde gerichtet und dabei jede Scham verloren.
16.09.16
Noe 29 – Gott und der Tellerrand
Etwas fahrig begründete ihm der Besucher, weshalb er Gott verstiess und Religion für sinnlos hielt. Noe hatte damit keine Mühe, im Gegensatz zu seinem fiebernden Gast. Für eine Erwiderung brauchte Noe Zeit. Er bat den Aufgewühlten, innezuhalten, um vor dem Haus gemeinsam den Geräuschen der Nacht zu lauschen. Sie hörten das Wispern der Bäume im warmen Wind, aufgeschreckte Vögel hier, knackende Äste dort und summende Insekten. Behutsam brach Noe das Schweigen: Um Gott zu suchen, hob er an, müsse keiner an ihn glauben. Gott sei eine Frage, nicht beweisbar mit Antworten, die ihn nur klein und absehbar machten. Sie lägen beide so falsch wie richtig, wenn sie gegenseitig Gott behaupteten oder widerlegten. Dieser könne so mächtig sein, wie ohnmächtig oder gar nur das Geschöpf der menschlichen Wünsche. Nehmen wir an, fuhr er fort, die Menschen hätten Gott als eine Art Fluchtpunkt gesetzt, ausserhalb des Tellerrandes, den sie kaum je überblickten, erfüllte er schon dadurch seinen Sinn, dass er die Ausdehnung des Denkens in unbekannte Räume ermöglichte. Viele Gläubige aller Kulturen hätten, mit Blick auf ihr Gottesbild, grundlegende Gedanken hinterlassen. So teile er, was einst ein anderer schrieb: „Wenn es Gott nicht gäbe, müsste man ihn erfinden“. Und Noe zitierte den Meister der Christen, „…mein Reich ist nicht von dieser Welt“, dabei würde er selber bleiben, bis er wisse, was diese wirklich sei.
13.08.16
Rahmenlos
Eine Stimme wohnt in mir, weder Gott noch Zauberei, die vollkommen anders spricht. Sie hat Worte, die keiner kennt und kaum vernehmbar, würden sie je gesprochen. Sätze aus Liedern, entfesselten Klängen, quer durch alle Linien, rahmenlos.
25.06.2016
Leben stirbt!
Als ich dem Tod von der Schippe fiel, fanden einige Gescheite, es wäre noch nicht an der Zeit gewesen, ich hätte wohl Lücken auszugleichen, den Lebensauftrag nicht erfüllt. Danke. Woher wussten sie das? Woran dachten sie? Dass sie mich weiter zur Verfügung haben wollten, für Dinge die ihnen dienlich waren? Statt Fragen zu stellen oder einfach zu schweigen, erzählten sie ihre Sicht. Ausdruck der eigenen Ratlosigkeit und Ohnmacht. Vielleicht, um der blanken Wirklichkeit zu entfliehen, die untergründige Todesangst auszublenden? Erkennen sie ihre eigene Angst im Anderen und wollen sie teilen? Was aber, wenn dieser Andere keine verspürt?
Auch wenn einer stirbt, betrauern wir nicht den Toten, sondern den eigenen Verlust.
16.11.15

11.09.2015

AllEinsiedlerSeufzen

Gott, mein Gott,
Ziel meiner Fragen,
Türe die wegführt
aus der Enge des Seins,
Entwurf eines Lebens,
das grenzenlos lebt
und sich verschenkt.
Ich kann dich denken
antwortlos träumen,
erhoffen, lieben,
ablehnen,
verdammen,
nur fassen …
kann ich dich nicht.
29112012

Noe 28 – der Narr

Noe konnte selbstvergessen wütend werden, flammend kämpfen und liess sich ein, ohne Angst vor möglichen Verlusten. Wer dann den erhabenen, gleichmütigen Weisen sehen wollte, fand ihn nicht und war enttäuscht. Noe ging es nie um Weisheit. Er wollte Wahrnehmung und Leidenschaft in allem. Wie viele Strohfeuer der Weltverbesserung hatte er schon gesehen, die nur dem eigenen Trost und Wohle dienten und so zusammenfielen? Und all‘ die Blender und Wunschkanonen, denen er begegnet war, von denen er sogleich wusste, wie und woran sie scheitern würden? Erneuerung konnte nur mit ständiger Glut gelingen, mit beharrlicher Treue, eigener Veränderung und Selbstlosigkeit. Diese wuchs aus der Hingabe, ungesichert und weit entfernt vom Streben nach Eigennutz. Mit seiner Leidenschaft, Wut und Verletzlichkeit geriet Noe oft zum Narren im Kreise der Braven, dem er so entwischte.Mitte2014

Ora et labora?

Es sind nicht zwingend religiöse Gründe, die einen Menschen ins Kloster führen. Auch die Erkenntnis, dass in unserer Gesellschaft das Materielle alles Leben knechtet, statt ihm zu dienen, reicht dafür aus. Keiner will das und alle machen mit. Der Ausstieg aus diesem Tunnel verlangt Entschiedenheit. Ankämpfen, also vom Gegner weiter mitbestimmt, oder sich entziehen? Grosse Ordensgründer stellten sich diese Frage auch in ihren Tagen und wandten sich angewidert ab von der Gier ihrer Zeit. Sie verweigerten das Spiel, suchten den Geist und neue Wege, weit über ihr Leben und Bedürfnis hinaus. Ich kenne Mönche und Nonnen, denen Religionen, Rituale und Kirchen nur als kulturelle Werkzeuge dienen, als rückwärtige Bezugspunkte, um sich im Neuland nicht zu verlaufen. Den Traum vom ewigen Glück nach dem Tod teilen sie nicht. Sie haben ein Leben voller Zwänge hinter sich gelassen und werden sich keinem neuen Druck mehr beugen. Sie üben die Freiheit, die durch ein ausgewogenes Verhältnis zwischen gewählter Selbsteinschränkung und freier Entscheidung möglich ist. Solche Menschen können die Welt verändern, weil sie ihr nicht hörig sind. Die Kirchen misstrauen ihnen zutiefst, obwohl an ihren Anfängen solche Leute standen. Diese aber finden sich in bester Gesellschaft: Abgesehen von Jesus und vielen anderen, gab es da die Wüstenväter, Benedikt von Nursia und Franz von Assisi. Ein tiefer Blick zurück in die Geschichte kann durchaus in die Zukunft weisen.
09092015    

Held

Zu weit hast du gesucht,
die halbe Welt verflucht
und nicht geschaut,
was sich in dir zusammenbraut.
Nun, in tiefster Nacht,
liegst du da, geschlagen
und von Angst bewacht.
26072015

Ach was!

Männer haben nicht minder
Gefühle als Frauen.
Aber wenig Tamtamdrumrum.
02082015

Kontaktabzeige

Alt, jung, Mann oder Frau,
krank, gesund, stino und schwul,
herzlich und cool?
Von Kategorien umhüllt,
ganz still,
wohnt am verborgenen Ort
die Freiheit
die nach draussen will.
Ein Hauch nur - und Geist.
Ich brauche Menschen.
Keine Spiele, keine "Kisten",
auch keine Abenteuer.
Ein Stück Umweg vielleicht,
um die Zweifel zu teilen,
denn die Autobahn
ist mir nicht geheuer.
2001

Wohlgelogen

Wir sind freundlich, taktvoll, tolerant, gerecht und verstehen einander. Ich habe den Eindruck, dass dies zu Fratzen führt, von denen wir uns nicht mehr trennen können. Gefrorenes Lächeln, kristallisierte Freundlichkeit. Die Sucht, sich ansprechend darzustellen, keine Fehler zu machen und mindestens seinesgleichen geduldig zu schonen, ist eine billige Masche, um sich selber besser zu fühlen, als man es ist. Harmonie um jeden Preis, durchorganisiert und festgelegt. Freudestrahlend tappen wir in die Falle der Verlogenheit. Nein, da gibt es keine Farben, keine Wut, wir reden schön und gepflegt. Eine Schicht tiefer finden wir unterdrückte Gefühle, zusammengefaltete Gedanken. Falsche Schlüsse schiessen ins Kraut und die verstellte Sicht macht blind. Vorne herum Strahlenkranz und Kumpanei, dahinter Ignoranz, Geplapper und Intrigen. Die Konflikte sind gedeckelt, schwelen im Seelenkeller und werden zu hassgrünem Gift.   Mitte2014

22.08.2015

Noe 27 – Nacht

Er weinte nicht Trauer, noch Angst.
Es war das Sehnen nach Freiheit,
Erlösung zu finden,
in Leben und Tod zugleich.
"Freund, lass‘ mich schlafen,
bis die Gedanken zerfliessen,
die Träume verwehn,
der Atem erwacht."
21082015

20.08.2015

Von Kloaken und Bergseen

Weder die alten, noch die neuen Religionen bringen Aufbrüche. Nur Vollzug. Sie tummeln sich, in kleinbürgerlichem Einvernehmen, im Schatten ihrer Vorbilder, aber nicht in deren Licht. Biederkeit gebiert keine randlosen Zukunftsträume und ohne solche sind Religionen sinnlos. Also herrscht eine verschworene Erhaltungsmentalität, in der die Gläubigen sich gegenseitig in Einfalt bestärken: Zuschütten statt aufdecken, „Gott“ erträglich „machen“, um dem letztgültigen Alleinesein zu entfliehen. Zu viele Antworten lähmen ihre Köpfe, um noch fragen zu können. Eingliederung statt Freiheit, wo doch freier Geist das Leben umwehen müsste. Wahrhaft suchende Menschen brauchen keine Zeigefinger, pfeifen auf geistliche Mütter und Väter. Sie ordnen ihre Fragen, entwickeln erfüllende Wege ohne aufgeblasenes religiöses Gelaber oder herangeweihte Hierarchien, die meinen, die vielen Wege zur Fülle der Leere liessen sich bändigen und stilisieren. Die einsamen Pfade dieser mutigen Wanderer lassen sich nicht packen. Sie sind zu tief und lassen viel „Bewährtes“ hinter sich. Ihre Gedanken führen in die Freiheit, meiden die stinkenden Tümpel geistigen Nasenschleimes. Sie setzen sich ungemütlichen Entdeckungen aus, die an den Grundfesten des Lebens rütteln und die kranken Trost-, Heils- und Sicherheitskonzepte hinter sich lassen.
2014

24.07.2015

Wahristen

Bitte keine Lichtsäulen, keine magischen Formeln und Geistertänze. Weder kenne ich verfluchte Plätze, Erdstrahlen oder Wasseradern, noch spiele ich mit Pendeln, Kristallen und Wahrsagerei. Einen Guru braucht es nicht, keine Vordenker oder Meister, weg von diesem Scheibenkleister. Keine fremden Federn auf mein Haupt. Ob „gut“ oder „schlecht“, die „Energien“ fliessen mir am Arsch vorbei. Da mogeln sich Kleingeister zu erlauchten Wissenden empor, sonnen ihre Belanglosigkeit im Abglanz der Verblendung, verkaufen ihren Glauben als Wahrheit und walzen "achtsam-sensibel" ihr gesamtes Umfeld in Grund und Boden. Nein, so steck' ich meinen Kopf nicht in den Sand, brauche keine Instanzen, jage weder nach Glück noch Sinn, suche keine Antworten, die es nicht gibt und falls doch, zu fadenscheinig sind. Ich mag ihn nicht, diesen erzkonservativen esoterischen Kitsch mit seinem penetranten Fliederduft, der Nabelschau, dem erhobenem Zeigefinger und seiner vormittelalterlichen "Theologie". 16072015

23.07.2015

Denn sie wissen nicht, was sie tun

„Wenn sie rauchen, sterben sie früher“, ...
... steht da auf meiner Zigarettenschachtel. Na und? Warum nicht? Muss es immer mehr, länger, besser und gieriger sein, jede Sekunde Leben raffen? Genauso lässt sich sagen: "Wenn sie nicht rauchen, sterben sie später und mit hohem Risiko, dass dies in Raten geschieht. Schmerzen überall, Verlust der geliebten Menschen, Medikamentenberge, Sicht- und Höreinschränkungen, Rollatorprobleme, Altersheimgeschubse, Inkontinenz, Bewegungseinschränkungen, vielleicht auch noch Alzheimer, Bevormundung und andere Baustellen". Das hiesse dann: ...
... „Wenn sie nicht rauchen, sterben sie länger“.
19032015

Leer geschluckt

Es folgten keine Taten.
Du hast sie alle eingelullt.
Ich brauchte nur zu warten.
Andern gabst du dann die Schuld.
29082014

Absage, kurz und klar:

Mein Leben
ist weder Pauschalreise,
noch Meinungsumfrage.
Auch kein Wunschkonzert.
10032015

"Politcal Correctness?" - Maskenball

„Political Correctness“ ist ein Schlagwort. Ein Totschläger. Eine politisch korrekte Aussage misst sich daran, was die Mehrheit der jeweils Anwesenden gerade für richtig hält. Je nach Umfeld wird einer für seine Aussage geächtet und seine Integrität steht in Frage. Ob meine Aussagen politisch korrekt sind oder nicht, interessiert mich nicht. Ich bin kein Schaf, denke, fühle und handle politisch im eigenen Namen und werde mich dafür bei keiner ideell gekämmten Herde entschuldigen. Meinen „Junkie“ mache ich nicht zum „Drogengebrauchenden“ und in den Texten hüte ich mich, auf beide Geschlechter hinweisen und so die gestandene Sprache dem Zeitgeist zu opfern. Worte sind wichtig aber nicht entscheidend. Mit ihnen lässt sich spielen, sie sind dehnbar wie Honig, verdreh- und missbrauchbar. Eine innere Haltung drückt sich verbindlich erst in der Handlung aus, dem gelebtem Respekt vor anderem Leben und anderen Grenzen. Wer das regulieren muss, sollte über die Bücher gehen, hat vermutlich diesen Grundrespekt zum anderen verloren und gebärdet sich deshalb so feinverlogen, richtigkeitsbeseelt. Darum habe ich wohl bei solchen Menschen fast immer das Gefühl, dass sie irgendwelche Götzen bekriechen und andere Menschen missachten. 10052015

Jünger

Der Papst trägt die Titel Bischof von Rom, Stellvertreter Jesu Christi auf Erden (Vicarius Christi), Nachfolger des Apostelfürsten (Petrus) , Oberster Priester der Weltkirche, Pontifex maximus (oberster Brückenbauer), Primas von Italien, Metropolit und Erzbischof der Kirchenprovinz Rom, Souverän des Staates der Vatikanstadt,  Diener der Diener Gottes (servus servorum dei), Patriarch des Abendlandes (entfernt) und wird angesprochen mit „Seine Heiligkeit“. Er hat einen Papstthron (der einzige vierbeinige Heilige der Katholischen Kirche: Der Heilige Stuhl), trägt die Tiara, eine dreifache Krone, stützt sich auf den päpstlichen Hirtenstab, der Fischerring steckt an seiner rechten Hand u.v.a.m.
Nun zum Wesentlichen: Sein Chef, Auslöser dieses ganzen Rattenschwanzes der Macht und Eitelkeit, hiess Jeschua, war der Sohn eines Schreiners und scheint ein mittelloser Wanderprediger gewesen zu sein.

02.02.2015

ES

Wenn du grosse Worte liest,
achte auf die Zwischenräume.
Und wenn du Bilder siehst,
betrachte sie danach im Dunkeln.
Klingt Musik in deinen Ohren,
höre hin, wo keine Klänge sind.
Begegnest du Skulpturen,
was wäre deren Standort ohne sie?
Packt dich ein Theaterspiel,
zieh‘ den Vorhang zu,
und verlier‘ dich hin zur Bühne.
Wo immer Kunst den Geist berührt,
umkreist sie jene Stille,
die alle Grenzen sprengt,
da sie selber keine kennt.
 (30.01.15)

15.08.2013

Bitte - noch ein Bier!

Er schiebt sein Leben anderen in die Schuhe. 
Alle Klage, den Widerstand, die Fragen seiner Tage. 
Wenn sie ihn nur liessen und förderten nach Kräften.
Ihn, der in vielem Meister ist, verkannt in seiner Grösse. 
Der er doch Bescheid weiss, besser als die andern, 
bäumt sich auf, gegen das Zerbrechen: 
Tausend Worte in die Luft verpufft und keine Taten.
Um nicht nackt vor seinem Spiegelbild zu steh‘n
muss er als Fremder durch das eigene Leben geh‘n.

Setzkastenköpfe

Für die Katholischen bin ich zu wenig römisch. Für die Evangelischen nicht genügend reformiert. Die Rechten orten mich links, die Linken sehen mich rechts. Den Gläubigen bin ich zu atheistisch und den Atheisten zu religiös. Einige Mönche bewundern die spirituelle Konsequenz, standesbewusste Brüder ärgern sich, dass ich ungebunden eine Kutte trage. Halten mich die einen für anmassend, so loben andere die Bescheidenheit. Pragmatiker belächeln den Idealismus und Idealisten stört mein Realitätsbezug. Diese lieben die klare Sprache, jene hassen mich dafür. Flauen bin ich zu ideologisch und die Ideologen verstört, dass da einer unfallfrei die Sicherheitslinien überfährt. Was zum Teufel schert mich die Meinung jener Leute, die nur nach der Bestätigung ihrer Werteskala suchen?

28.06.2013

Wanderschaft

Du fragst nach „deinem Weg“? Du stehst auf ihm. Er verläuft weder irgendwann noch woanders. Du gehst ihn genau jetzt und er führt auch heute durch Licht und Schatten. Oder suchst du nur Ausreden, um Veränderungen auszuweichen, ziehst dein Selbstwertgefühl aus Theorien statt aus Taten? Willst du der Wirklichkeit begegnen und nicht nur jenen Wahrheiten, die dir in den Kram passen? Bist du sicher, dass du keine verklärenden Gedankenspiele betreibst, in denen du eine Illusion deiner selbst erfindest und zu leben suchst? Selbsterkenntnis ist schonungslos, setzt ein „Selbst“ voraus und genügend Bescheidenheit, um dieses wahrnehmen zu können. Wähnst du hingegen, schon alles zu wissen, durchgeplant, dann ist kein Raum in dir für Neues und die gescheiten Fragen versinken in dummen Antworten.

17.06.2013

Gänseblümchenblues

Hast du Geld, bist du frei - und abhängig vom Geld.
Hast du keines, bist du frei - und abhängig von anderen.
Und liegst du dazwischen – so hängst du an beiden.
Ist das die Freiheit, die du mir verkaufen willst?
Wählen zu dürfen, wer mich gefangenhält?

13.06.2013

Mittelzeit

Verändern können, wenn sie wollen, die Jungen mit den Alten. Die in der Mitte sind besetzt, sie verbiegen und verwalten.

„Scheiss-Christentum …“

... steht da in einem Eintrag auf Facebook zu lesen. Nicht nur „Gott“ hat vier Buchstaben, auch „Neid“, „Gier“ und „Geld“ gehören dazu. Meint die Schreiberin das Christentum, die Christen und jene, die sich dafür halten oder es durch ihre kulturelle Herkunft sind? Die Religionen wurden zu jeder Zeit von Interessen Einzelner unterwandert. Das verletzt sie aber nicht im Kern, es sei denn, Gier, Neid und Geld hätten Geist und Ideal zerfressen. Schuld ist nicht das Medium, sondern die Menschen, die es nutzen und verhunzen. Die Konsumreligionen unserer Tage halte ich für gefährlicher, als alle alten Weltreligionen zusammen. Letztere verfolgen zumindest in Gedanken ein Ideal, das wandelbar und frei zu interpretieren ist; falls wir das Denken nicht aufgegeben haben. Dagegen schaffen die neuen Plastikgeld-Lehren nur Gesinnungslumperei, mehr Mitmachzwang, Leistungsneurosen, Machbarkeitswahn, endlosen Entscheidungsnotstand und überdrehte Sklaven des ständigen Geplappers auf allen Medien. Ihre Propheten und Evangelisten verkünden, dass aus den abnehmenden Grundlagen für alle die grenzenlose "Selbst"-Verwirklichung zu schaffen sei. Auf die Knie, ihr Frommen, in den Bildschirm beten, den Bankomaten bumsen und beim Lecken den Arsch der Werbung nicht vergessen! Vergebung gibt’s im Shop gleich nebenan. (2011)

11.06.2013

„Man lässt mich nicht …!“

Keiner schenkt dir Freiheit. Also baue sie dir. Dazu solltest du mehrere Wege kennen, nicht nur deinen, und eine sachliche Selbsteinschätzung haben. Betrachte vor allem dich selbst sehr kritisch, aber auch deine Umgebung. Gute Beobachtung lehrt dich mehr als tausend Worte. Lerne zu unterscheiden. Was sehe ich? Was ist es wirklich? Was sagt es mir? Du wirst so auf frei denkende Menschen stossen, die dich auf deine Fähigkeiten hinweisen, dir oft näher stehen, als du dir selbst. Weite den Blick für neue Räume, die du mit etwas Mut betreten kannst. Wirst du fündig, entscheide dich. Zwar schlägst du damit einige Türen zu, was aber genauso geschieht, wenn du den Schritten ausweichst. Nun lege das Ja, zusammen mit deiner Genialität und deinem Ungenügen, in nur eine der beiden Waagschalen. Mach‘ den ganzen Schritt, keinen halben. Etwas Angst gehört dazu, ohne sie wächst kein Mut. Wer so handelt wird klar, erkennbar, bietet Angriffsflächen. Du wirst neue Fragen haben, dich anderen Gefahren stellen und dafür die Verantwortung alleine tragen. Zögere nicht: Ohne Verantwortung ist Freiheit nicht zu haben. Wenn du kämpfen musst, dann niemals „gegen“, sondern immer „für“ etwas. So wirst du zu dem, der du bist und sein wirst. Verläufst du dich in Sackgassen, mache daraus Kreuzungen und erkunde andere Wege. Manch einer wird dich belächeln, gar verspotten; genau dann bleibe dir treu, bewahre was deinem Geist entspringt und dein Herz bewegt, ohne Gewinn- und Leistungsdenken. Und lerne die wenigen Freunde schätzen, die dies auch wirklich sind. Mit ihrer Liebe im Rücken schaffst du diesen Weg.

08.06.2013

Irrliebende Mütter

Sie liebt ihn, solange er ihrem Bild entsprechend lebt und ihr sagt, was sie zu hören wünscht. Fordert sein Verständnis, wenn sie ihn nicht verstehen will, verlangt Dankbarkeit, Respekt und Enkelkinder, auf dass ihre grosse Seele gefüttert werde. Ihre Tränen soll er trocknen, mit denen sie ihn erpresst, wenn sie die Haltung verliert, wie fast immer. Er möge gefälligst ihre Träume erfüllen, damit sie den Freundinnen etwas zu erzählen hat, denn ohne deren Bestätigung wird ihr gläserner Stolz zum Scherbenhaufen. Sie habe doch alles gut gemacht, sagt sie zum eigenen Trost, zumindest gut gemeint, während ihre Selbstbezogenheit die Familie zermalmt. Er aber möchte sie zum Freunde haben, ausserhalb der Rollenspiele. Sie lehnt ab, will die Mutter bleiben, weiter im Theaterkostüm daher spazieren, hat Angst vor dem prallen Leben. Er stellt sich echte Freundschaft vor, ohne Kitsch, Bedingung und Moralgeschäft, während sie ihn sogleich beschuldigt, ihr Bedingungen zu stellen. Sie verwässert jeden klaren Austausch, jammert, weicht aus, muss dagegenhalten, gewinnen, kann ihren Bildern nicht entrinnen. Ihr 22-jähriger befände sich in der Pubertät, klagt sie rundherum, verkündet jene halbe Wahrheit die sie kennt, suhlt sich im Leid und lässt sich trösten. Schuld an ihren Qualen seien ihr Sohn und dessen Freunde. Die Engel schweigen. „Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Licht“, haucht ihr Esoterikglaube, und sie findet die Türen nicht.
Dabei ist die Lage einfach: Der Sohn möchte zur Wirklichkeit, die Mutter klammert sich an Formeln und Lebenslügen. Er sucht nach Freiheit und sie mutet ihm zu, dass er ihr überangepasstes Angstleben teilt. Da er nicht auf sie hört, zweifelt sie, ob sie so mit ihm noch verkehren wolle, beweint ihre verletzte Mütterlichkeit, die verlorene Macht, die Erfolglosigkeit ihrer Matronen-Diktatur. In dieser Ecke des Lebens ist die Einsamkeit grenzenlos: Mütter die am Anspruch scheitern, ihre Familien perfekt darzustellen und nicht fähig sind, ihre Kinder loszulassen. So erwächst den Familien eine kollektive Verlogenheit, die alle Beteiligten bis zum Lebensende umklammert. Und dafür soll der Junge sich nun opfern und es weiterführen? Widerlich.