28.06.2013

Wanderschaft

Du fragst nach „deinem Weg“? Du stehst auf ihm. Er verläuft weder irgendwann noch woanders. Du gehst ihn genau jetzt und er führt auch heute durch Licht und Schatten. Oder suchst du nur Ausreden, um Veränderungen auszuweichen, ziehst dein Selbstwertgefühl aus Theorien statt aus Taten? Willst du der Wirklichkeit begegnen und nicht nur jenen Wahrheiten, die dir in den Kram passen? Bist du sicher, dass du keine verklärenden Gedankenspiele betreibst, in denen du eine Illusion deiner selbst erfindest und zu leben suchst? Selbsterkenntnis ist schonungslos, setzt ein „Selbst“ voraus und genügend Bescheidenheit, um dieses wahrnehmen zu können. Wähnst du hingegen, schon alles zu wissen, durchgeplant, dann ist kein Raum in dir für Neues und die gescheiten Fragen versinken in dummen Antworten.

17.06.2013

Gänseblümchenblues

Hast du Geld, bist du frei - und abhängig vom Geld.
Hast du keines, bist du frei - und abhängig von anderen.
Und liegst du dazwischen – so hängst du an beiden.
Ist das die Freiheit, die du mir verkaufen willst?
Wählen zu dürfen, wer mich gefangenhält?

13.06.2013

Mittelzeit

Verändern können, wenn sie wollen, die Jungen mit den Alten. Die in der Mitte sind besetzt, sie verbiegen und verwalten.

„Scheiss-Christentum …“

... steht da in einem Eintrag auf Facebook zu lesen. Nicht nur „Gott“ hat vier Buchstaben, auch „Neid“, „Gier“ und „Geld“ gehören dazu. Meint die Schreiberin das Christentum, die Christen und jene, die sich dafür halten oder es durch ihre kulturelle Herkunft sind? Die Religionen wurden zu jeder Zeit von Interessen Einzelner unterwandert. Das verletzt sie aber nicht im Kern, es sei denn, Gier, Neid und Geld hätten Geist und Ideal zerfressen. Schuld ist nicht das Medium, sondern die Menschen, die es nutzen und verhunzen. Die Konsumreligionen unserer Tage halte ich für gefährlicher, als alle alten Weltreligionen zusammen. Letztere verfolgen zumindest in Gedanken ein Ideal, das wandelbar und frei zu interpretieren ist; falls wir das Denken nicht aufgegeben haben. Dagegen schaffen die neuen Plastikgeld-Lehren nur Gesinnungslumperei, mehr Mitmachzwang, Leistungsneurosen, Machbarkeitswahn, endlosen Entscheidungsnotstand und überdrehte Sklaven des ständigen Geplappers auf allen Medien. Ihre Propheten und Evangelisten verkünden, dass aus den abnehmenden Grundlagen für alle die grenzenlose "Selbst"-Verwirklichung zu schaffen sei. Auf die Knie, ihr Frommen, in den Bildschirm beten, den Bankomaten bumsen und beim Lecken den Arsch der Werbung nicht vergessen! Vergebung gibt’s im Shop gleich nebenan. (2011)

11.06.2013

„Man lässt mich nicht …!“

Keiner schenkt dir Freiheit. Also baue sie dir. Dazu solltest du mehrere Wege kennen, nicht nur deinen, und eine sachliche Selbsteinschätzung haben. Betrachte vor allem dich selbst sehr kritisch, aber auch deine Umgebung. Gute Beobachtung lehrt dich mehr als tausend Worte. Lerne zu unterscheiden. Was sehe ich? Was ist es wirklich? Was sagt es mir? Du wirst so auf frei denkende Menschen stossen, die dich auf deine Fähigkeiten hinweisen, dir oft näher stehen, als du dir selbst. Weite den Blick für neue Räume, die du mit etwas Mut betreten kannst. Wirst du fündig, entscheide dich. Zwar schlägst du damit einige Türen zu, was aber genauso geschieht, wenn du den Schritten ausweichst. Nun lege das Ja, zusammen mit deiner Genialität und deinem Ungenügen, in nur eine der beiden Waagschalen. Mach‘ den ganzen Schritt, keinen halben. Etwas Angst gehört dazu, ohne sie wächst kein Mut. Wer so handelt wird klar, erkennbar, bietet Angriffsflächen. Du wirst neue Fragen haben, dich anderen Gefahren stellen und dafür die Verantwortung alleine tragen. Zögere nicht: Ohne Verantwortung ist Freiheit nicht zu haben. Wenn du kämpfen musst, dann niemals „gegen“, sondern immer „für“ etwas. So wirst du zu dem, der du bist und sein wirst. Verläufst du dich in Sackgassen, mache daraus Kreuzungen und erkunde andere Wege. Manch einer wird dich belächeln, gar verspotten; genau dann bleibe dir treu, bewahre was deinem Geist entspringt und dein Herz bewegt, ohne Gewinn- und Leistungsdenken. Und lerne die wenigen Freunde schätzen, die dies auch wirklich sind. Mit ihrer Liebe im Rücken schaffst du diesen Weg.

08.06.2013

Irrliebende Mütter

Sie liebt ihn, solange er ihrem Bild entsprechend lebt und ihr sagt, was sie zu hören wünscht. Fordert sein Verständnis, wenn sie ihn nicht verstehen will, verlangt Dankbarkeit, Respekt und Enkelkinder, auf dass ihre grosse Seele gefüttert werde. Ihre Tränen soll er trocknen, mit denen sie ihn erpresst, wenn sie die Haltung verliert, wie fast immer. Er möge gefälligst ihre Träume erfüllen, damit sie den Freundinnen etwas zu erzählen hat, denn ohne deren Bestätigung wird ihr gläserner Stolz zum Scherbenhaufen. Sie habe doch alles gut gemacht, sagt sie zum eigenen Trost, zumindest gut gemeint, während ihre Selbstbezogenheit die Familie zermalmt. Er aber möchte sie zum Freunde haben, ausserhalb der Rollenspiele. Sie lehnt ab, will die Mutter bleiben, weiter im Theaterkostüm daher spazieren, hat Angst vor dem prallen Leben. Er stellt sich echte Freundschaft vor, ohne Kitsch, Bedingung und Moralgeschäft, während sie ihn sogleich beschuldigt, ihr Bedingungen zu stellen. Sie verwässert jeden klaren Austausch, jammert, weicht aus, muss dagegenhalten, gewinnen, kann ihren Bildern nicht entrinnen. Ihr 22-jähriger befände sich in der Pubertät, klagt sie rundherum, verkündet jene halbe Wahrheit die sie kennt, suhlt sich im Leid und lässt sich trösten. Schuld an ihren Qualen seien ihr Sohn und dessen Freunde. Die Engel schweigen. „Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Licht“, haucht ihr Esoterikglaube, und sie findet die Türen nicht.
Dabei ist die Lage einfach: Der Sohn möchte zur Wirklichkeit, die Mutter klammert sich an Formeln und Lebenslügen. Er sucht nach Freiheit und sie mutet ihm zu, dass er ihr überangepasstes Angstleben teilt. Da er nicht auf sie hört, zweifelt sie, ob sie so mit ihm noch verkehren wolle, beweint ihre verletzte Mütterlichkeit, die verlorene Macht, die Erfolglosigkeit ihrer Matronen-Diktatur. In dieser Ecke des Lebens ist die Einsamkeit grenzenlos: Mütter die am Anspruch scheitern, ihre Familien perfekt darzustellen und nicht fähig sind, ihre Kinder loszulassen. So erwächst den Familien eine kollektive Verlogenheit, die alle Beteiligten bis zum Lebensende umklammert. Und dafür soll der Junge sich nun opfern und es weiterführen? Widerlich.