27.05.2013

Mutteristik

Kaum eine Verbindung ist so unklar und verfänglich wie die Mutter-Kind-Beziehung. Nirgendwo sonst wirkt ein vergleichbar verschwom- menes System aus Liebe, Erwartung, Macht und Ohnmacht, Wün- schen, Ängsten, Schuldzuweisung und Sühneleistung, meist verknüpft mit absurden Umgangsmustern. Da bestimmt ein Mensch mit aller Macht über das Leben eines anderen, bis hin zu dessen innersten Formung oder gar Verletzung. Die namenlose Anrede „Mutter“, davon gibt’s Milliarden (wie Väter auch), benützen wir selbst dann noch, wenn wir diesem Rollenspiel längst entwachsen sind.
Die Welt wird nicht besser, obwohl wir dafür fast alles zur Verant- wortung gezogen haben. Den Vätern, der Schule, der Gesellschaft, der Kirche, dem Zeitgeist, Krethi und Plethi haben wir die Schuld zugeschanzt. Ohne Erfolg. Warum trauen wir uns nicht zu fragen, ob es für eine bessere Gesellschaft womöglich bessere Mütter bräuchte? Diese Frage scheint verboten zu sein. Wohl eine Folge jenes faden- scheinigen Respektes, mit dem wir die Aussagen des vorangehenden Abschnittes romantisch verschnörkeln. Ausgerechnet Hermann Hesse, geschätzter Meister zarter Klänge, brachte es auf den Punkt: „Ein Faustschlag ins Gesicht der Pietät gehört zu den Taten, ohne welche man nicht von der Schürze der Mutter loskommt.“