15.08.2013

Bitte - noch ein Bier!

Er schiebt sein Leben anderen in die Schuhe. 
Alle Klage, den Widerstand, die Fragen seiner Tage. 
Wenn sie ihn nur liessen und förderten nach Kräften.
Ihn, der in vielem Meister ist, verkannt in seiner Grösse. 
Der er doch Bescheid weiss, besser als die andern, 
bäumt sich auf, gegen das Zerbrechen: 
Tausend Worte in die Luft verpufft und keine Taten.
Um nicht nackt vor seinem Spiegelbild zu steh‘n
muss er als Fremder durch das eigene Leben geh‘n.

Setzkastenköpfe

Für die Katholischen bin ich zu wenig römisch. Für die Evangelischen nicht genügend reformiert. Die Rechten orten mich links, die Linken sehen mich rechts. Den Gläubigen bin ich zu atheistisch und den Atheisten zu religiös. Einige Mönche bewundern die spirituelle Konsequenz, standesbewusste Brüder ärgern sich, dass ich ungebunden eine Kutte trage. Halten mich die einen für anmassend, so loben andere die Bescheidenheit. Pragmatiker belächeln den Idealismus und Idealisten stört mein Realitätsbezug. Diese lieben die klare Sprache, jene hassen mich dafür. Flauen bin ich zu ideologisch und die Ideologen verstört, dass da einer unfallfrei die Sicherheitslinien überfährt. Was zum Teufel schert mich die Meinung jener Leute, die nur nach der Bestätigung ihrer Werteskala suchen?

28.06.2013

Wanderschaft

Du fragst nach „deinem Weg“? Du stehst auf ihm. Er verläuft weder irgendwann noch woanders. Du gehst ihn genau jetzt und er führt auch heute durch Licht und Schatten. Oder suchst du nur Ausreden, um Veränderungen auszuweichen, ziehst dein Selbstwertgefühl aus Theorien statt aus Taten? Willst du der Wirklichkeit begegnen und nicht nur jenen Wahrheiten, die dir in den Kram passen? Bist du sicher, dass du keine verklärenden Gedankenspiele betreibst, in denen du eine Illusion deiner selbst erfindest und zu leben suchst? Selbsterkenntnis ist schonungslos, setzt ein „Selbst“ voraus und genügend Bescheidenheit, um dieses wahrnehmen zu können. Wähnst du hingegen, schon alles zu wissen, durchgeplant, dann ist kein Raum in dir für Neues und die gescheiten Fragen versinken in dummen Antworten.

17.06.2013

Gänseblümchenblues

Hast du Geld, bist du frei - und abhängig vom Geld.
Hast du keines, bist du frei - und abhängig von anderen.
Und liegst du dazwischen – so hängst du an beiden.
Ist das die Freiheit, die du mir verkaufen willst?
Wählen zu dürfen, wer mich gefangenhält?

13.06.2013

Mittelzeit

Verändern können, wenn sie wollen, die Jungen mit den Alten. Die in der Mitte sind besetzt, sie verbiegen und verwalten.

„Scheiss-Christentum …“

... steht da in einem Eintrag auf Facebook zu lesen. Nicht nur „Gott“ hat vier Buchstaben, auch „Neid“, „Gier“ und „Geld“ gehören dazu. Meint die Schreiberin das Christentum, die Christen und jene, die sich dafür halten oder es durch ihre kulturelle Herkunft sind? Die Religionen wurden zu jeder Zeit von Interessen Einzelner unterwandert. Das verletzt sie aber nicht im Kern, es sei denn, Gier, Neid und Geld hätten Geist und Ideal zerfressen. Schuld ist nicht das Medium, sondern die Menschen, die es nutzen und verhunzen. Die Konsumreligionen unserer Tage halte ich für gefährlicher, als alle alten Weltreligionen zusammen. Letztere verfolgen zumindest in Gedanken ein Ideal, das wandelbar und frei zu interpretieren ist; falls wir das Denken nicht aufgegeben haben. Dagegen schaffen die neuen Plastikgeld-Lehren nur Gesinnungslumperei, mehr Mitmachzwang, Leistungsneurosen, Machbarkeitswahn, endlosen Entscheidungsnotstand und überdrehte Sklaven des ständigen Geplappers auf allen Medien. Ihre Propheten und Evangelisten verkünden, dass aus den abnehmenden Grundlagen für alle die grenzenlose "Selbst"-Verwirklichung zu schaffen sei. Auf die Knie, ihr Frommen, in den Bildschirm beten, den Bankomaten bumsen und beim Lecken den Arsch der Werbung nicht vergessen! Vergebung gibt’s im Shop gleich nebenan. (2011)

11.06.2013

„Man lässt mich nicht …!“

Keiner schenkt dir Freiheit. Also baue sie dir. Dazu solltest du mehrere Wege kennen, nicht nur deinen, und eine sachliche Selbsteinschätzung haben. Betrachte vor allem dich selbst sehr kritisch, aber auch deine Umgebung. Gute Beobachtung lehrt dich mehr als tausend Worte. Lerne zu unterscheiden. Was sehe ich? Was ist es wirklich? Was sagt es mir? Du wirst so auf frei denkende Menschen stossen, die dich auf deine Fähigkeiten hinweisen, dir oft näher stehen, als du dir selbst. Weite den Blick für neue Räume, die du mit etwas Mut betreten kannst. Wirst du fündig, entscheide dich. Zwar schlägst du damit einige Türen zu, was aber genauso geschieht, wenn du den Schritten ausweichst. Nun lege das Ja, zusammen mit deiner Genialität und deinem Ungenügen, in nur eine der beiden Waagschalen. Mach‘ den ganzen Schritt, keinen halben. Etwas Angst gehört dazu, ohne sie wächst kein Mut. Wer so handelt wird klar, erkennbar, bietet Angriffsflächen. Du wirst neue Fragen haben, dich anderen Gefahren stellen und dafür die Verantwortung alleine tragen. Zögere nicht: Ohne Verantwortung ist Freiheit nicht zu haben. Wenn du kämpfen musst, dann niemals „gegen“, sondern immer „für“ etwas. So wirst du zu dem, der du bist und sein wirst. Verläufst du dich in Sackgassen, mache daraus Kreuzungen und erkunde andere Wege. Manch einer wird dich belächeln, gar verspotten; genau dann bleibe dir treu, bewahre was deinem Geist entspringt und dein Herz bewegt, ohne Gewinn- und Leistungsdenken. Und lerne die wenigen Freunde schätzen, die dies auch wirklich sind. Mit ihrer Liebe im Rücken schaffst du diesen Weg.

08.06.2013

Irrliebende Mütter

Sie liebt ihn, solange er ihrem Bild entsprechend lebt und ihr sagt, was sie zu hören wünscht. Fordert sein Verständnis, wenn sie ihn nicht verstehen will, verlangt Dankbarkeit, Respekt und Enkelkinder, auf dass ihre grosse Seele gefüttert werde. Ihre Tränen soll er trocknen, mit denen sie ihn erpresst, wenn sie die Haltung verliert, wie fast immer. Er möge gefälligst ihre Träume erfüllen, damit sie den Freundinnen etwas zu erzählen hat, denn ohne deren Bestätigung wird ihr gläserner Stolz zum Scherbenhaufen. Sie habe doch alles gut gemacht, sagt sie zum eigenen Trost, zumindest gut gemeint, während ihre Selbstbezogenheit die Familie zermalmt. Er aber möchte sie zum Freunde haben, ausserhalb der Rollenspiele. Sie lehnt ab, will die Mutter bleiben, weiter im Theaterkostüm daher spazieren, hat Angst vor dem prallen Leben. Er stellt sich echte Freundschaft vor, ohne Kitsch, Bedingung und Moralgeschäft, während sie ihn sogleich beschuldigt, ihr Bedingungen zu stellen. Sie verwässert jeden klaren Austausch, jammert, weicht aus, muss dagegenhalten, gewinnen, kann ihren Bildern nicht entrinnen. Ihr 22-jähriger befände sich in der Pubertät, klagt sie rundherum, verkündet jene halbe Wahrheit die sie kennt, suhlt sich im Leid und lässt sich trösten. Schuld an ihren Qualen seien ihr Sohn und dessen Freunde. Die Engel schweigen. „Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Licht“, haucht ihr Esoterikglaube, und sie findet die Türen nicht.
Dabei ist die Lage einfach: Der Sohn möchte zur Wirklichkeit, die Mutter klammert sich an Formeln und Lebenslügen. Er sucht nach Freiheit und sie mutet ihm zu, dass er ihr überangepasstes Angstleben teilt. Da er nicht auf sie hört, zweifelt sie, ob sie so mit ihm noch verkehren wolle, beweint ihre verletzte Mütterlichkeit, die verlorene Macht, die Erfolglosigkeit ihrer Matronen-Diktatur. In dieser Ecke des Lebens ist die Einsamkeit grenzenlos: Mütter die am Anspruch scheitern, ihre Familien perfekt darzustellen und nicht fähig sind, ihre Kinder loszulassen. So erwächst den Familien eine kollektive Verlogenheit, die alle Beteiligten bis zum Lebensende umklammert. Und dafür soll der Junge sich nun opfern und es weiterführen? Widerlich.

27.05.2013

Noe 26 – Zeit und Punkt

Noe wusste, dass der Geist wehte, wo er wollte. Ungebeten, unverdient, kaum zu verspüren. Wo Absicht und Erwartung den Menschen gefangen hielten, fand der Geist keinen Platz. Nur loszulassen, sich in Frage zu stellen, weniger zu wollen, ja Bedingungslosigkeit, konnte ihm den Pfad zur Seele bahnen. Unauffällig durchströmte er dann das Leben, hinterliess seine beiläufige Spur, erkennbar erst, wenn alte Erfahrungen in neuem Licht aufschienen und die Schleusen zur Erkenntnis öffneten. „Den Raum dafür musst du selber schaffen“, dachte Noe bei sich, „du aber willst bestimmen, wann das Leben was zu liefern hat, getrieben durch die Angst vor der Fügung, die deiner Macht entzogen ist. Fehlt dir das Zutrauen, dich ungesichert von der Gunst des Atemzuges tragen zu lassen, zu denken ohne dich an stützende Geländer zu klammern? So verbaust du den Fluss, verklebst die Zeit, die du wohl lesen kannst, jedoch nicht zu steuern vermagst“. Wie gerne hätte er ihm nachgerufen: „ Sie zerrinnt - ohne Wiederkehr!“. Doch er schwieg. Alles hatte seine Zeit, so auch dieses. Wann immer jemand eine solch' absichtslose kurze Weile mit Geschichte und Zukunft ausgestalten wollte, wurde der Atem der Gegenwart, der Wirklichkeit, von den widerläufigen Winden ausgefegt und es blieb nur die Flucht. Noe wandte seinen Blick weg vom entfernten Fliehenden, den er eben erst in sein Herz gelassen hatte, und schloss das Fenster.

Mutteristik

Kaum eine Verbindung ist so unklar und verfänglich wie die Mutter-Kind-Beziehung. Nirgendwo sonst wirkt ein vergleichbar verschwom- menes System aus Liebe, Erwartung, Macht und Ohnmacht, Wün- schen, Ängsten, Schuldzuweisung und Sühneleistung, meist verknüpft mit absurden Umgangsmustern. Da bestimmt ein Mensch mit aller Macht über das Leben eines anderen, bis hin zu dessen innersten Formung oder gar Verletzung. Die namenlose Anrede „Mutter“, davon gibt’s Milliarden (wie Väter auch), benützen wir selbst dann noch, wenn wir diesem Rollenspiel längst entwachsen sind.
Die Welt wird nicht besser, obwohl wir dafür fast alles zur Verant- wortung gezogen haben. Den Vätern, der Schule, der Gesellschaft, der Kirche, dem Zeitgeist, Krethi und Plethi haben wir die Schuld zugeschanzt. Ohne Erfolg. Warum trauen wir uns nicht zu fragen, ob es für eine bessere Gesellschaft womöglich bessere Mütter bräuchte? Diese Frage scheint verboten zu sein. Wohl eine Folge jenes faden- scheinigen Respektes, mit dem wir die Aussagen des vorangehenden Abschnittes romantisch verschnörkeln. Ausgerechnet Hermann Hesse, geschätzter Meister zarter Klänge, brachte es auf den Punkt: „Ein Faustschlag ins Gesicht der Pietät gehört zu den Taten, ohne welche man nicht von der Schürze der Mutter loskommt.“

24.05.2013

Schöne neue Welt

Sie fordern die neue Welt und meinen ihr kleines Wohlbefinden. Konventionen sprengen sie mit Regeln, die enger sind als jene, die sie bekämpfen. Sie suchen das Gegenteil des Altbekannten und kriechen genau diesem auf den Leim. Alsbald klaffen Ideal und Fähigkeit auseinander, die Grosszügigkeit erliegt dem eigenen Vorteil, keiner ist mehr bereit, für sein Wunschbild bedingungslos ein Stück eigenen Lebens hinzugeben. Ein Traumschaum von Scheinheiligkeit überdeckt inzwischen den Selbstbetrug. Es blüht die Nabelschau, im Anspruch, aus „gesundem Menschenverstand“, das einzig Richtige zu tun. In der goldgerahmten Vermessenheit, die besseren und gescheiteren Menschen zu sein, belauern sie die Welt mit Argusaugen, suchen alle Fehler dort und nicht bei sich. Zornesmulmig oder naserümpfend fallen sie über Anderslebende her, bauen daraus ihr Selbstwertgefühl, ziehen es mit Leidgenossen zu Mauern hoch, um das ergatterte Plätzchen zu sichern. Hüben wie drüben das alte Lied: Die alternativen Kleinbürger singen nur neue Texte zu alten Melodien und wollen, wie die meisten, ganz einfach ein bequemes Leben, verschanzt hinter dem schützenden Tellerrand, der sie vor den Fährnissen des Lebens bewahrt. Darüber hinaus zu blicken, wirklich Neues anzupacken, wagen auch sie nicht, denn die Bühne der Ideologien und Worthülsen könnte zusammenstürzen.