17.04.2010

Fernsprecherei

Zurückhaltung und Geduld sind im Umgang mit Menschen wichtige Tugenden. Ich teile mein Leben mit einigen Telefonen. Sie schlummern in Räumen oder in der Hosentasche, bis ein eigenmächtiger Anrufer sie und ihren Besitzer ferngesteuert in Bewegung setzt. Augenblicklich schiessen sie aus ihrem Dornröschenschlaf, mischen sich in mein Geschehen ein, mit ihrem ganzen Register an ordinären Signalen. Sie fordern ungeteilte Zuwendung, gleich ob ich gerade mit Menschen zusammen bin, mir die Zähne putze oder koche. Ich will nicht. Tapfer ertrage ich den Einbruch, während ich auf dessen Ende hoffe. Andernfalls meint der Anrufer, sich verwählt zu haben und beginnt den nächsten Versuch. Ich will immer noch nicht, verspüre keine Lust zu reden. Ah, endlich - Ruhe: Und fünf Minuten später das gleiche Spiel. Der Befehl lautet: "Du hast abzunehmen, wenn Du zuhause bist", die heilige Leier der immerwährenden Erreichbarkeit. Verhielte sich jemand in meinen Räumen so wie meine Telefonapparate, würde ich diesem Menschen unverzüglich die Türe weisen. Hier aber wird mich später einer fragen, warum ich seinen Anruf nicht entgegennahm, er habe mehrmals versucht, mich zu erreichen. Anklage in tonaler Mittellage, die natürlich ernst ist und nur besagt, dass er nicht erhielt, was er haben wollte. Telefone gleichen schreienden Kleinkindern, nur trösten kann man sie nicht.