25.03.2010

Noe 7 - Noe hatte Glück

(Dédié à T. et T.)
Noe hatte Glück. Gegen Ende ihrer Schwangerschaft wollte seine Mutter mit ihm in den Tod. Sie war jung und verzweifelt. Der Versuch misslang, beide überlebten. Eine Amme wärmte und nährte ihn. Kaum genesen, begann Noe's Mutter ihn zu einem jener richtigen Männer zu formen, die sie so liebte. Sie war jung und naiv. Noe wehrte sich mit schweren Krankheiten, die ihn schliesslich in ein Kinderheim führten. Er hatte Glück. Es war keine jener Kinderhöllen, wie es sie anderswo gab zu jener Zeit. Als er zwei war, stand ein Paar an seinem Bett mit einem Teddybär. Ein Bild, das er unauslöschlich durch sein Leben trug. Er zog zu diesen Menschen und wuchs bei ihnen auf. Noe hatte Glück: Sie haben ihn gesund gemacht, zärtlich begleitet, niemals in Formen gezwängt. Er pendelte, wie heute Scheidungskinder, zwischen den Pflegeeltern, seiner Mutter und den den verschiedenen Kulturen hin und her. Heimatlos. Noe hatte Angst vor seiner Mutter, sie war dick und er schlief neben ihr. Sie verkehrte mit vielen freundlichen, ziemlich aufgetakelten Frauen an Orten, wohin sich damals "anständige" Menschen nicht verirrten. Noe wuchs heran und wurde für seine Mutter zum "Plan Altersvorsorge". Sie war nun älter, berechnend geworden, voll gehängt mit schwerem Gold und machte Druck. Noe entzog sich. Als er erwachsen war, erhielt er den Namen seiner Zieheltern. Später erbte er aus Versehen etwas Geld und genau dann meldete sich seine Mutter nach fünfundzwanzig Jahren wieder. Sie hatte materielle Wünsche, forderte seinen Besuch und klagte über ihr Leben. Wie es ihm erging, fragte sie nicht. Noe, inzwischen fünfzig und erfahren, hatte danach den ersten und letzten Asthma-Anfall seit Jahrzehnten. Notschrei aus tiefster Vergangenheit. Tagelang brütete er über dem Brief an seine Mutter. Darin verzieh er ihr, was es zu verzeihen gab und er schloss die Zeilen mit den Worten: "… Du bist zu spät gekommen. Der Funke der Freundschaft ist nicht gesprungen. Das Blut spricht nicht. Wenn Du etwas für mich tun willst, dann lass' mich los. Ich bleibe da, wo ich die bedingungslose Liebe fand."
Noe hatte Glück: Denn es gab diesen Ort.